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Was passiert nach der Wahl?
Wilde Spekulationen - kühne Theorien
Die Nationalratswahl am 29. September rückt immer näher. Und je näher der Termin kommt, desto wilder und kühner werden die Spekulationen der Parteien, Medien und Politauskenner. Was passiert bei der Wahl und was passiert nach der Wahl sind die beiden großen Fragen.
Jetzt sind Vorhersagen generell schwierig, aber besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Eine Konstante gibt es allerdings immer: Die Markt- und Meinungsforscher müssen erklären, warum sie mit ihren Prognosen danebengelegen sind. Mit anderen Worten – es ist nicht in Stein gemeißelt, dass die Parteien in der Reihenfolge ins Ziel gehen, die uns heute die Prognosen prophezeien. Denn derzeit liegt die FPÖ klar vorne auf Platz eins, gefolgt von ÖVP, SPÖ, Neos und Grünen. Sogar der Bierpartei wird ein möglicher Einzug in den Nationalrat zugetraut. Geht man davon aus, dass die Umfragen einigermaßen stimmen, stellt sich die Frage nach der Regierungsbildung nach der Wahl. Denn eine Zweierkoalition, wie wir sie in Österreich gewohnt sind, kann und wird es nach derzeitigem Stand rein rechnerisch nur mit der Kickl-FPÖ geben können. Das haben allerdings alle anderen Parteien ausgeschlossen. Mit Kickl will niemand. Wobei dazugesagt werden muss, dass sich zumindest die ÖVP eine Koalition mit den Freiheitlichen vorstellen kann – allerdings ohne Kickl. Das wiederum kann sich in der FPÖ niemand vorstellen.
Damit schlägt die Stunde des Bundespräsidenten. Er vergibt den Regierungsbildungsauftrag. War es bislang Usus, den bei der Wahl Erstgereihten zu beauftragen, könnte es durchaus passieren, dass Van der Bellen von dieser Tradition abweicht, wenn Herbert Kickl Nummer eins wird und den Zweitplatzierten bittet eine Regierungskoalition zu basteln. Das wäre eine Möglichkeit. Eine zweite Möglichkeit – und vielleicht die elegantere für Van der Bellen – wäre, doch Wahlsieger Herbert Kickl mit der Bildung einer Regierung zu beauftragen, und ihm genüsslich dabei zuzusehen wie er scheitert. Denn niemand will mit der FPÖ. Dann nämlich wäre der Weg frei für den Zweitund Drittplatzierten eine Koalition zu bilden. Das wären dann ÖVP und SPÖ. Laut Umfragen geht sich aber eine Mehrheit dieser Parteien nicht aus. Sie brauchen einen dritten Partner. Und das können nur Neos, Grüne oder die Bierpartei sein, sollte sie den Sprung in den Nationalrat schaffen.
Nach den Erfahrungen, die die ÖVP in der laufenden Koalition mit den Grünen gemacht hat, kann man zu hundert Prozent ausschließen, dass sich die ÖVP das noch einmal antut. Bei der Bierpartei weiß man nicht, ob sie die 4-Prozenthürde schaffen und wenn ja, wofür diese Spaßpartei eigentlich steht. Ein riskanter Partner. Bleiben also die Neos, die seit Jahren gierig darauf sind, endlich mitzuregieren. Somit blüht uns eine ÖVP-SPÖ- Neos-Regierung. Und da fangen die Probleme erst an. Denn eine stark wirtschaftsliberal ausgerichtete Partei wie die Neos ist wohl kaum mit einer Babler-SPÖ kompatibel, die weit nach links gedriftet ist. Die ÖVP scheint hier inhaltlich am flexibelsten. Hat sie doch bereits zwei Koalitionen mit der rechten FPÖ und eine mit den linken Grünen hinter sich.
Es ist also ebenfalls nicht in Stein gemeißelt, dass diese Konstellation eine Regierungsbildung schafft. Sollte das der Fall sein, dann wird es spannend. Denn dann könnten einige in den jeweiligen Parteien auf die Idee kommen, die Köpfe auszutauschen und die Verhandlungen mit neuen Parteichefs neu zu beginnen. So steht etwa Andreas Babler jetzt schon in der Kritik seiner „Parteifreunde“ und auch für Karl Nehammer könnte es eng werden, wenn er es nicht schafft, die ÖVP in eine tragfähige, stabile Regierung zu verhandeln. In diesem Fall könnte es sogar ein Comeback von Sebastian Kurz geben, der sich den Zustand seiner Partei derzeit erste Reihe fußfrei ansieht und nur darauf wartet als „Retter“ oder „Erlöser“ geholt zu werden. Wilde Spekulationen – kühne Theorien!
Heinz Knapp,
Herausgeber